Mittwoch, 28. Juli 2010

Regen

Ich sitze stumm an meinem Fenster, blicke über die Straßen der Stadt, meiner Stadt. Sehe, wie sie schwarz und geschmeidig ihre Bahnen ziehen, ihre Wege gehen, sie glänzen feucht und glücklich. Ich betrachte den Himmel, er scheint nur eine einzige graue Wolke zu sein. Die Erkenntnis, dass die Sonne trotzdem scheint, nur mir verborgen ist, fällt mir schwer. Ich sehe die Tropfen an der Fensterscheibe hinabrinnen und bemerke zuerst nicht, dass über mein Gesicht die Tropfen im gleichen Rhythmus rinnen. Ich spüre, wie die warmen Tränen mein Shirt tränken und wie das Salz meine Haare verklebt und trotzdem empfindet mein Herz eine große Zufriedenheit, denn es fühlt sich verbunden mit dieser Stadt, die sich, in trauergrau gehüllt, ihren wahren Gefühlen hingibt und den Regen als befreiende Tränen, nach langen stummen Stunden, als Erlösung erkennt.
Es ist nicht der Regen, den man herbeisehnt nach einer langen Dürre. Es ist der Regen, der den Menschen Raum für ihre Gefühle gibt.
Man liebt sich im leisen Tröpfeln des ersten Frühlingsschauers. Man streitet sich im lauten Toben des heißen Sommergewitters, man schenkt sich gegenseitig Wärme im feuchtkalten herbstlichen Regensturm, man spürt seine Einsamkeit im Eisregen des Winters und an jedem Regentag dazwischen, weiß man, dass man fühlt, warum man fühlt und wie man fühlt.
Es ist nicht die Sonne, die uns zu Menschen macht, es ist der Regen. Der Regen ist wie die bestechende Ehrlichkeit eines wutverzerrten Kindergesichts. Die Sonne dagegen ist das süffisante Lächeln einer chic verpackten Highsocietylady auf einer Spendengala. Es ist der Regen der uns zu Menschen macht, denn er entlarvt unsere Stärken und Schwächen. Ein Lächeln in der wärmenden Frühlingssonne fällt jedem Menschen leicht, doch eine ehrliche, warmherzige Umarmung in stärksten Schauer ist eine besondere Geste. Aber der Regen zeigt auch unsere Schwächen, wenn es uns schwer fällt, auf unsere Mitmenschen zu achten, wenn unsere Selbstversunkenheit plötzlich Konsequenzen hat, die es bei Sonnenschein nicht gegeben hätte. Regen macht uns menschlich. Regen macht uns verletzlich. Regen macht uns aufrichtig.
Ich folge stumm meinen Gedanken, die mit den Tropfen auf die Erde fallen, in tausend Stücke zerspringen und damit Teil eines großen Ganzen werden, denn sie vereinigen sich mit allen anderen in tausend Stücke zersprungenen Gedanken zu einem feuchten Teppich auf den schwarzen glänzenden Straßen unserer Stadt.

Freitag, 23. Juli 2010

Von Entscheidungen und anderen Alternativen

Wie treffen Menschen ihre Entscheidungen?
Psychologen definieren Entscheiden als den Prozess der Wahl zwischen Alternativen und die Auswahl oder Ablehnung vorhandener Möglichkeiten.
Aber was passiert praktisch in einem Menschen der eine Entscheidung trifft?
Da man die Zukunft nur erahnen und die Vergangenheit nie vollständig erfassen kann sind Entscheidungen nur begrenzt rational.
Die Formulierung der Frage hat einen enormen Einfluss auf die folgende Entscheidung. So verschiebt sich möglicherweise die Entscheidung, wenn wir keine Präferenzentscheidung mehr treffen müssen, sondern eine Ablehnungsentscheidung.
Wenn wir zu dem Schluss kommen, dass die Alternative, die wir am ehesten präferieren, auch die Alternative ist, die wir am ehesten Ablehnen würden, ist uns klar geworden, dass diese Alternative viele Vor- und gleichzeitig Nachteile beinhaltet. Zu dieser Erkenntnis kommen Menschen in der Praxis häufig, wenn sie Pro- und Contra- Listen zur Entscheidungsfindung benutzen.
Eine wichtige Rolle bei einer Entscheidungsfindung spielen Erwartungen, an denen wir die Vorteile einer Alternative abwägen. Wenn wir beispielsweise kein Geburtstagsgeschenk erwarten, wird die Freude über eine Kleinigkeit groß sein, hatten wir aber einen bestimmten Wunsch gehegt, der nicht erfüllt wurde, wird unsere Freude getrübt und möglicherweise beeinflusst, wie wir uns entscheiden uns gegenüber dem Schenkenden zu verhalten. Auch wenn wir uns bemühen, wird es uns nicht gelingen uns von unseren Erwartungen vollständig zu lösen, d.h. sie beeinflussen jede unserer Entscheidungen.

Das Ziel einer Entscheidung ist eigentlich den Gewinn zu maximieren oder den Verlust zu minimieren. Je nach dem, ob wir eine Verlust- oder eine Gewinnvorrechnung erhalten wird auch hier unsere Entscheidung stark beeinflusst, beispielsweise bei medizinischen Entscheidungen: OP versus konservative Behandlung, ist entscheidend, ob einem Patienten jeweils die Überlebenswahrscheinlichkeit oder die Sterbewahrscheinlichkeit mitgeteilt wird. Und wer die Weitsicht besitzt die gebotenen Informationen umzurechnen, wird möglicherweise zu dem Schluss kommen, dass diese Entscheidung zu schwierig zu treffen ist und versuchen zu vermeiden eine Entscheidung zu treffen: Es kommt zu einer Entscheidungsaversion.

Zu Entscheidungsaversionen kommt es, wenn Probleme scheinbar zu komplex sind, um die optimale Entscheidung finden zu können, aber auch weil Menschen nicht gern Entscheidungen treffen bei denen Güter ungleich verteilt werden müssen, weil Menschen das Bedauern einer falschen Entscheidung antizipieren können, weil Menschen ungern Verantwortung für schlechte Resultate übernehmen und weil Menschen ungern Entscheidung für andere treffen.
Und Menschen mögen keine Entscheidungen, die andere für sie getroffen haben, deswegen führt eine Entscheidungsaversion generell zu Unzufriedenheit, denn irgendwer trifft früher oder später eine Entscheidung und wenn irgendwer eine Kraft ist, die wir einmal Schicksal nennen wollen.
Meist können wir uns auf unsere kognitiven Fähigkeiten verlassen und treffen häufig Entscheidungen mit denen wir gut leben können.
Kognitive Fähigkeiten
sagt schon, dass wir uns eher auf Kopf- als auf Gefühlsentscheidungen verlassen sollten, weil wir sonst möglicherweise falschen Signalen folgen. Aber bei den meisten Entscheidungsprozessen kommt der Kopf früher oder später zu dem gleichen Ergebnis, wie das „Herz,“ sodass es in dieser Hinsicht selten zu Komplikationen kommen sollte.

Mein Tipp für Probleme, die uns zu schwierig erscheinen: Sie einfach betrachten wie Probleme, deren Lösung uns leicht fällt (z.B. Ich habe Hunger. Was soll ich essen?), weil jede Alternative eine gute Entscheidung ist. Wenn wir also zu dem Schluss kommen, dass jede Alternative eine gute Seite hat, entfällt des Gefühl der möglichen Fehlentscheidung und wir können uns der Wahl des Besten unter dem Guten hingeben.

Mittwoch, 21. Juli 2010

Alles konstruiert?

Liebe ist eine Emotion, die unser Leben sehr stark beeinflusst. Aber diese Emotion gibt es noch nicht ewig. Liebe ist ein Konstrukt der Neuzeit, ein Luxusgut, das sich Menschen vor einigen 100 Jahren noch nicht leisten konnten oder wollten. Liebe ist nicht angeboren, sondern anerzogen. Was nicht heißt, dass man an der Aufrichtigkeit dieser Emotion zweifeln sollte, es ist ein tief empfundenen Gefühl, ein tief empfundenes Bedürfnis. Woher es kommt ist dabei irrelevant.
Beziehungen sind auch ein Konstrukt, ein von außen aufgezwungenes noch dazu.
Beziehung bedeutet, dass Menschen in einem Bezug zueinander stehen, in welchem auch immer. Was die Menschen aus Beziehungen gemacht haben sind aber Verpflichtungen. Wenn wir heute eine (offizielle) Beziehungen eingehen, heißt das, dass wir Sex haben, nur noch gemeinsam auf Partys auftauchen, uns gegenseitig Eltern und Freunden vorstellen, uns mehr oder weniger aufrichtig Treue schwören, vorher Bescheid sagen, wenn wir uns mit einem potentiellen Rivalen unseres Partners treffen, auf der Straße keine (je nach Bedarf) gegen- oder gleichgeschlechtlichen Menschen anlächeln und zumindest kurzfristig eine gemeinsame Zukunft planen.
Das Wort Beziehung zwängt uns in ein gesellschaftliches Korsett. Einerseits brauchen wir diesen Zwang, weil wir uns nach Sicherheit sehnen, deswegen begeben sich einige von uns gern freiwillig in gesellschaftliche Zwänge. Zum anderen brauchen wir gesellschaftliche Zwänge auch um rebellieren zu können, um etwas zu haben, wogegen wir uns auflehnen können oder einfach nur um zu zeigen, dass wir anders sind.
Aber Beziehungen üben einen anderen Zwang auf uns aus. Vielleicht kommt dieser Zwang aus unseren kindlichen Idealen (zu oft Bambi gesehen oder so), vielleicht aus unserem persönlichen Perfektionismus heraus. Dieser innere Drang alles richtig machen zu wollen, behindert uns vielleicht in unserer freien Entfaltung uns gegen etwas zu wehren, was nicht zu uns passt oder ein Konstrukt umzudefinieren. Denn alles was konstruiert ist, kann auch anders konstruiert werden.
Wie macht man aber seinem Umfeld klar, dass man Beziehungen für sich neu definiert hat? Und wie definiert man eine Beziehung neu, in der noch die gleichen Werte gelten sollen, die in klassischen Beziehungen gelten? Diese Werte sollten aber jetzt von innen heraus kommen, nicht durch das Wort Beziehung aufdiktiert werden? In den meisten Beziehungen kommen Werte, wie Treue, Aufrichtigkeit, Nähe und Respekt auch von innen heraus, aber viele machen sich darum keine Gedanken, weil sie wissen, wenn sie das, was sie mit ihrem Partner machen, Beziehung nennen, dann haben sie keine andere Wahl. Aber genau dieser Mangel an Wahl ist es doch, was viele Menschen abschreckt. Sie sagen sie wollen ein ungezwungenes Leben führen, sich alle Wege offen halten, aber wenn es so weit wäre, würden sie schon ihren Freiheitsdrang einschränken, wenn es nur nicht jeder von ihnen erwarten würde.
Dabei geht es wie gesagt noch nicht einmal um die Erwartungen des Partners, sondern viel mehr um die Erwartungen des Umfeldes.
Wenn ich sage: "Ich habe einen Freund," dann quetsche ich mein Leben in eine vorgefertigte Schablone, aus der es nur an 2 Stellen über den Rand ragen darf, ansonsten mache ich etwas falsch und schieße mich ins gesellschaftliche Abseits.
Man wird also seiner Entscheidung und Selbstbestimmung beraubt, wenn man für Dinge die man tut, Bezeichnungen wählt, die nur nach einem Schema konstruiert werden können.

Was ich will?
Keine freie Liebe!
Findet für eure Lebensentwürfe coole, individuelle, neue Namen, damit ihr euch nicht selbst der Entscheidung beraubt, so leben zu wollen, wie ihr lebt, um euch selbst die Chance zu geben Dinge zu hinterfragen und sie aus vollem Herzen zu tun und nicht sie nur stumpfsinnig nachmacht.

Mittwoch, 7. Juli 2010

Von Wurzeln und Flügeln und anderen Liebesbeweisen

"Wurzeln um zu wachsen, Flügel um zu fliegen, das ist was deine Mama dir gab"
So heißt es gerade in einem aktuellen Reggae-Song von Stefanie Heinzmann und Gentleman.
Aber die wenigsten Kinder werden wirklich mit Wurzeln und Flügeln ausgestattet, einige haben nur eins von beiden und manche auch nichts.
Wurzeln zum Wachsen zu haben, heißt, die Möglichkeit bekommen in einem stabilen Umfeld groß zu werden, Sicherheit zu haben und mit den wichtigsten Grundlagen, wie Nahrung, Liebe, Aufmerksamkeit und Bildungsressourcen ausgestattet zu sein.
Flügel zum Fliegen zu haben, heißt, die Möglichkeit bekommen, sich frei entfalten zu können, eigene Wege gehen zu können und trotzdem zu wissen wieder sicher landen zu können, weil man erklärt bekam, wie Flügel funktionieren und weil man gelernt hat auf die Tragfähigkeit dieser Flügel zu vertrauen.
Es ist die Frage, warum der Mensch beides braucht, wenn dem Rest der Natur doch eins genügt oder haben Sie schon einmal eine Ente mit Wurzeln oder eine Eiche mit Flügeln gesehen?
Im Text heißt es weiter:
"Die Welt ist kalt, die Welt kann lügen, kein anderer kann dich retten"
In diesem Satz steckt die Antwort auf meine vorhergehende Frage: Weil der Mensch als solches erst einmal kalt und egoistisch ist, es sei denn ein anderes Verhalten dient seinem Vorteil, also dem Erhalt seiner Gene, so die evolutionsbiologische Ansicht, deshalb braucht der Mensch mehr Ressourcen, er muss fest wachsen können aber auch unabhängig und schnell verschwinden können.
Dass Welt kein Ort der positiven Emotionen ist, glaube ich auch, aber ich glaube nicht, dass daran allein ein paar Gene oder Hormone etwas ändern. Ich glaube, dass Freundlichkeit, Liebe, Respekt usw. rein kognitive Fähigkeiten des Menschen sind, während Tiere ihre Emotionen intuitiv regeln und somit eigentlich ehrlicher sind. Aber der Mensch entscheidet sich freundlich zu sein und er muss jeden Tag wieder darum kämpfen und entweder er schafft es diesen Emotionen größeren Raum zu geben als den anderen oder er schafft es auch nicht seinem Kind die nötige Liebe zu geben.
Menschen werden nicht mit der Befruchtung der Eizelle zu Eltern, sie werden zu Eltern, wenn sie das erste Mal etwas Gutes für ihr Kind tun und bei manchen Eltern ist das erste Gute, was sie tun, das Kind wegzugeben in bessere Hände.
Elternschaft ist nicht biologisch sondern emotional determiniert.
Manche Menschen hätten emotional nie Mutter werden dürfen und doch hat die Biologie nicht eingegriffen.
Das sind die Mütter, die ihren Kindern weder Wurzeln noch Flügel gaben. Das sind die Mütter die ihren Kindern noch eine ganz andere entscheidende Sache nicht gaben: LIEBE oder wenigsten die Möglichkeit dazu Liebe zu empfangen.
Es sind diese Art von Eltern, die niemals ein eigenes Fehlverhalten einräumen würden, wenn das Unglück der eigenen Kinder erklärt werden soll, sondern immer äußere Umstände verantwortlich machen oder gar das Kind selbst, das wehrloseste Wesen.
Die Liebe der Eltern definiert sich für mich nicht dadurch 24 Stunden am Tag 7 Tage die Woche für das Kind dazu sein, sondern, wie schon gesagt, durch das Gute, das man dem Kind tut, durch die Wurzeln und Flügel, die man dem Kind gibt oder ihm die Möglichkeit bereitet, dass es diese Sachen von jemanden erhält.

Der Wert einer Gesellschaft misst sich an der Qualität der Kinder und die Qualität der Kinder misst sich an der Qualität derer, die sie erziehen und ausbilden. Wir sollten kritischer hinschauen, denn das Wohl jeden einzelnen Kindes liegt in unserer Hand und eine Gesellschaft muss dort tragen helfen, wo ein Individuum Schwäche zeigt. Wenn die Mütter unserer Gesellschaft nicht fähig sind den Kindern Wurzeln und Flügel zu geben, dann sollten wir es tun und wir sollten uns um alle die besonders kümmern, die in ihrer Kindheit keine Wurzeln und Flügel bekommen haben, denn auch sie brauchen sie, um sie an ihre Kinder weiterzugeben.