Dienstag, 18. September 2012

Vom Glück und anderen Verwandlungen

Nun weiß es mal wieder die ganze Nation: Ich lebe in der glücklichsten Stadt. Ach nein, ich lebe in der Stadt mit den glücklichsten Menschen, man sollte schon präzise sein. Mich hätte dieses Ergebnis eigentlich nicht verwundert, denn ich kenne die Vorzüge dieser Stadt und ich schätze meine glücklichen Mitmenschen auch sehr, denn Glück ist ebenso ansteckend wie Gähnen. Wenn sich nur eine Gruppe, die eine kritische Masse überschreitet, glücklich fühlt, hebt sie auch die Glücksgefühle der anderen, man müsste sich ja auch schämen in so einer Stadt unglücklich zu fühlen. 
Aber wie schon angedeutet, dieses Jahr überraschte die Nachricht doch etwas, denn in letzter Zeit begegneten mir sehr viele unglückliche Menschen. Das was sie scheinbar einte, war die Tatsache, dass sie alle Neu-Hamburger waren. Sie beschwerten sich über das scheußliche Hamburger Wetter und die weiten grünen Flächen und die vielen Radfahrer und die Gewässer überall und die unfreundlichen Menschen und die ewigen Ladenöffnungszeiten und die vielen Menschen, die so viel feiern und immer wieder über das Wetter. Den Punkt mit dem Wetter können viele vielleicht noch nachvollziehen. Der Regen mag Hamburg eben, aber wir haben wunderbares Wetter in Monaten in denen der Rest der Nation mit schlechtem Wetter zu kämpfen hat, trotzdem haben wir in der Tat keine 3 Sommermonate bei 38°C und ich bin dankbar dafür. Ich mag keine Hitze, schon gar nicht in Innenstädten, und der gewöhnliche Hamburger mag es auch lieber mild und der Regen hier ist meist auch kein schlechtes Wetter sondern nur eine Erinnerung an die Schönheit der Natur, wenn zum Beispiel nach einem kleinen Schauer alles feucht in der Sonne glänzt wie frisch poliert. Aber zurück zu meinen Neu-Hamburgern: Ich machte mir Sorgen, wie stark sich Menschen die Laune vom Wetter oder von der Abwesenheit der eigenen Mutter beeinflussen lassen, obwohl sie eigentlich schon seit 10 Jahren auf eigenen Füßen stehen sollten und wie wenig sie die Vorzüge dieser Stadt zu schätzen wissen beziehungsweise sie gar nicht zu sehen scheinen. Doch dann erkannte ich, was sie noch nicht erkannt hatten. Sie waren nicht unglücklich, weil sie nach Hamburg gekommen waren, sondern sie kamen, weil sie bereits unglücklich waren, weil ihr Leben davor den Bach herunterging und um das nicht wahrhaben zu müssen oder es noch abwenden zu können, versuchten sie neu anzufangen, aber ohne ihr eigentliches Problem zu lösen. Dieses projizierten sie dann auf das Neue in ihrem Leben -den Wohnort. 
Diese Erkenntnis erinnerte mich an ein weiteres Problem, das sich hieran gut erklären lässt: Die Geschichten dieser Neu-Hamburger klingen jetzt noch so: 
"Ich dachte dann halt -naja- probieren kann ich das ja mal, nun hat es halt nicht geklappt, hätte ich vielleicht auch vorher drüber nachdenken können."
In ein paar Wochen, Monaten oder Jahren klingt es dann so:
"Ich wollte das ja von Anfang an nicht, aber er/sie/es hat gesagt ich soll das machen und dann hab ich mich breitschlagen lassen, weil ich nicht so ein Arsch sein wollte, aber ich wusste ja schon vorher, dass das nichts werden kann."

Manche Menschen kommen vielleicht wirklich erst nach ein paar Wochen, dass dahinter, was sie eigentlich gefühlt haben und redeten es sich am Anfang noch schön. Aber die meisten Menschen beschönigen im Nachhinein ihre Meinung, um sich nicht die Blöße des Scheiterns zu geben. So verändern sich auch Geschichten von Trennungen im Laufe der Zeit, bei engen Freunden immer sehr schön zu beobachten, wenn man die Geschichte damals sogar miterlebte und sie dann ungefähr einmal im Jahr noch einmal hört, die Position des Erzählers wird immer edler. Aber wir können das unseren Freunden nicht wirklich übel nehmen, denn wir machen es genauso, wir merken es dann nur nicht so gut. Ich finde es sehr schade, dass der Mensch so selten in der Lage ist, seine eigene Unsicherheit zuzulassen und wenn sie erst im Nachhinein herauskorrigiert wird. Aber Geschichten in denen wir sagen: "So ich war damals halt noch mutig und hab dran geglaubt und irgendwie sollte es dann halt nicht sein, weil wir auch beide manche Dinge anders gemacht haben, als es der andere erwartete." sind doch auch schöne aufrichtige Geschichten.