Mittwoch, 23. März 2011

Von Schwächen und anderen Stärken

Es gab in den letzten Wochen so viele Dinge über die man schreiben hätte können. Aber man konnte darüber genauso gut schweigen. Denn einerseits sind es die belanglosen Dinge, die zu viele Menschen bewegen und andererseits sind es die Dinge, die die Menschen bewegen, für die es keine angemessenen Worte gibt.
Kritisch zu hinterfragen und abzuwegen, ob eine weltpolitische Katastrophe für mich wichtiger ist als Lokalpolitik, fällt mir schwer. Ich bin momentan dabei mich von meiner kleinen Welt bewegen zu lassen. Ich bin von meinen eigenen Charakterschwächen mehr bewegt als von Kampfbombern über Afrika. Das ärgert mich. Aber ich bin gefangen in mächtigen Ketten aus Angst (besser gesagt Feigheit) und Faulheit, wobei die Angst vor der Sache selbst noch durch Angst vor dem Einsatz die Sache vermeiden zu können überwogen wird.
Vielleicht bin ich aber auch einfach nur zu faul für all das.
Denn ich bin auch zu faul morgens aufzustehen, zu essen, zu schreiben und zu leben.
Vielleicht ist Faulheit auch der Grund, warum ich es vermieden habe über die oben angesprochenen Geschehnisse zu schreiben, denn eigentlich war ich mir nie für eine kritische Auseinandersetzung zu schade und vertrat auch mal die Meinung: "Lieber die falschen Worte gefunden, als es schweigend hingenommen zu haben!"
Aber wer erfüllt schon seinen eigenen Idealismus.
Die evangelische Kirche Deutschland ruft während der aktuellen christlichen Fastenzeit zu 7 Wochen ohne Ausreden auf und hat dafür einen sehr niedlichen Werbespot produziert. Doch als ich über den Spot nachdachte, in dem sich ein kleiner Junge bei seiner Mutter herausreden will, ist mir aufgefallen, dass ich für andere Leute wenig Ausreden brauche, ich vermeide mit ihnen einfach das Gespräch über persönlich schwierige Themen. Ausreden brache ich in erster Linie für mich selbst. Warum ist es so leicht mir selbst etwas vorzugaukeln?
Ich weiß es nicht, aber mich erinnert die Fragestellung an einen Post-Entwurf, den ich vor ein paar Wochen verfasst habe, dessen Fazit mir aber irgendwie fehlte. Nun füge ich ihn ein, vielleicht gibt es angesichts meiner neuen Erkenntnisse jetzt doch ein Fazit.


Westeuropäer haben Probleme mit ihrem Gewicht, Ostasiaten haben Probleme mit ihrem Karma. Westeuropäer haben für ihr Problem die Weightwatchers. Haben Ostasiaten Karmawatchers? Wahrscheinlich nicht. Aber wahrscheinlich ist die Sache mit dem Karma auch gar nicht so schwierig wie sie für Außenstehende scheint und sie haben gar kein wirkliches Problem. Wobei ich meine, dass wir hier in unserem Kulturkreis wohl besser Charakterwatchers erfunden hätten, dies hätte wahrscheinlich das Gewichtsproblem automatisch mit gelöst, weil wir über irgendein Punktesystem an unseren größten Charakterschwächen gearbeitet hätten und damit vielleicht nie in Frustfressattacken verfallen wären. Vielleicht wäre das ja meine berufliche Nische, wenn ich es schaffen würde gute und schlechte Taten in ein Punktesystem umzurechnen und den idealen Punktebedarf ermitteln könnte. Immerhin kann man mit der Umrechnung von Kalorien in Punkte ja Millionen von Euro/Dollar verdienen, warum also nicht auch mit der Umrechnung von charakterlichen Entgleisungen in Punkte?
Wahrscheinlich, weil wir unsere Laster brauchen, weil sie uns menschlich machen, weil wir einander nur lieben können, wenn wir sehen, dass der andere auch Schwächen hat.
Hätten wir keine Charakterschwächen mehr, bräuchten wir auch keine Mitmenschen mehr, wir bräuchten keinen Trost, wir bräuchten keine Zuneigung, die uns zeigt, dass wir trotzdem liebenswert wären. Wir wären plötzlich arm. Arm an Persönlichkeit. Persönlichkeit ohne Schwächen und Stärken, denn auch unserer größten Charakterstärken erwachsen aus unseren Schwächen, zum Beispiel wenn wir aufrichtig einen Fehler eingestehen und uns für ein Fehlverhalten entschuldigen, erleben wir und unsere Mitmenschen das als Stärke, aber diese Stärke hätten wir nicht mehr, wenn wir nicht mehr schwach wären, wenn es nichts mehr gebe, das zu Reue und Wiedergutmachung erfordert.